ECCE PANIS ANGELORUM – DAS BROT DER ENGEL:
Heilige Technologien Visionärer Kultur
von Boris Nikolaus Hiesserer
Das Buch ECCE PANIS ANGELORUM des Herausgebers, Autors, Medienkünstlers und -Schamanen Boris N. Hiesserer eröffnet diese neue Reihe mit einem außergewöhnlichen Forschungsdokument zur Kulturgeschichte der Psychedelik im Allgemeinen und des Mutterkorns im Besonderen. Das Werk unter die Überschrift „Cyberkultur und Drogengebrauch“ zu stellen, würde sicherlich in vielfacher Hinsicht zu kurz greifen, geht es Hiesserer doch vor allem um eine Sicht auf psychoaktive Substanzen als Psychedelika und Entheogene. So wird gerade durch seine Studie deutlich, dass ein undifferenzierter Drogenbegriff mehr verschleiert als zur Klärung von realen Zusammenhängen hilft.
Das Buch ist trotz seines Fokus auf die psychoaktiven Substanz des Mutterkorns, aus dem Albert Hofmann 1943 sein „Sorgenkind“ und potenzielles „Wunderkind“ LSD synthetisierte, vor allem ein Beitrag zur psychedelischen Bewusstseinsforschung. Veränderte Bewusstseinszustände (VBZ) sind, wie die moderne Ethnologie gezeigt hat, über Jahrtausende und kulturelle Grenzen hinweg wichtiger Teil der Menschheitskultur und könnten sogar ein wesentlicher Faktor in der Evolutionsgeschichte des Menschen sein. Die Zugänge zu psychedelischen, d.h. die Seele offenbarenden Erfahrungen in außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen, sind zumeist stark rituell kodifiziert, kontextualisiert und kulturell vielfältig. So werden mögliche Trance-, Ekstase- oder Flow-Erfahrungen z.B. durch rituelles Tanzen, Musizieren, Meditieren, Fasten aber auch durch die Einnahme psychoaktive Substanzen, wie Pilze, Kakteen anderer botanischer Schätze der Natur, eröffnet. Die Psychedelik ist somit die Erfahrungswissenschaft veränderter Bewusstseinszustände (VBZ oder ASC für Altered States fo Consciousness) und neben den Zugangsmethoden, sowie dem ethno-neuro-psycho-pharmakologischem Grundlagenwissen, geht es hierbei auch ganz zentral um die Erfahrungs- und Prozesskompetenz – die Psychonautik, d.h. die subjektive Fähigkeit mit diesen außergewöhnlichen Zuständen sinnvoll, d.h. entwicklungsfördernd, lebensbereichernd, alltagsintegrativ, ja sogar heilbringend umzugehen.
Abgesehen von den vielen interkulturellen Zeugnissen diesbezüglicher schamanischer Heilarbeit hat auch die 'westliche’, naturwissenschaftlich orientierte Medizin die Heilungspotenziale veränderter Bewusstseinszustände zum Teil schon erkannt. So sprach z.B. der deutsche Psychiater, Begründer der Psycholytischen Psychotherapie und Gründer des Europäischen Collegiums für Bewusstseinsforschung (ECBS) Hanscarl Leuner (1919 - 1996) von einer „Heilung durch Religion“ bzw. mystisches Erleben, die – im richtigen set und setting – durch den bewussten Einsatz von Psychedelika wie LSD (vgl. Leuner: Halluzinogene. Psychische Grenzzustände in Forschung und Psychotherapie, Bern 1981) nachhaltig gefördert werden kann. Der chilenisch us-amerikanische Mediziner und Psychiater Claudio Naranjo lieferte in seinem Werk Reise zum Ich – Psychotherapie mit heilenden Drogen (Fischer, Frankfurt a.M. 1979; speziell im herausragenden ersten Kapitel „Alptraum und Ekstase als heilende Kräfte“) eine sehr wertvolle Analyse der Risiken und Potenziale der Psychedelischen Psychotherapie für einen umfassenden Heilprozess im Sinne einer „(Helden-)Reise der Seele“.
Psychotrope Substanzen (Psychotropika) haben sowohl große Licht- als auch potenzielle Schattenseiten und wie Aldous Huxley auch aus eigenen Erfahrungen beschrieb, ist das mögliche Spektrum der so geöffneten Pforten der Wahrnehmung weit und reicht zwischen „Himmel und Hölle“. Bei Psychedelika handelt es sich also um sehr potente und potenzialreiche aber nicht ungefährliche Substanzen, deren positive, entwicklungsförderliche Nutzung fundiertes Wissen, praktisches Knowhow und gute Vorbereitung bedarf. Die Bandbreite der Erfahrungsqualitäten reicht von der „angstvollen Ichauflösung“ (Adolf Dittrich) und bei prädisponierten Personen sogar möglichen substanzinduzierten Psychosen bis hin zur mystischen Einheitserfahrung, transpersonalen Schaulogik und experimentellen Theologie (vgl. z.B. das berühmte „Karfreitagsexperiment“ von Walter Pahnke 1962). In diesem Zusammenhang sei nur kurz darauf hingewiesen, dass der Theologe und Religionswissenschaftler Rudolf Otto (1869 - 1937) das Wesen des Göttlichen in seinem Werk Das Heilige sowohl als „Mysterium tremendum“ (Furcht auslösendes Geheimnis) als auch als „Mysterium fascinosum“ (Entzücken auslösendes Geheimnis) bestimmt hat. Sowohl für das Numinose als auch für die psychedelische Erfahrung gilt beides zugleich: tremendum et fascinans!
Wenn hier von „Heiligen Technologien“ (Mircea Eliade), „Technologien des Heiligen“ (Stanislav Grof) oder „sakraler Droge“ (Albert Hofmann) die Rede ist, ist eben diese spirituelle Dimension gemeint, die natürlich auch einen sakralen Rahmen (set & setting) mit einschließt. Für Eingeweihte des indischen Tantrayana und tantrischen Yoga ist diese Doppelgesichtigkeit nichts neues. Im Tantrismus werden schon seit alters her spirituell unorthodoxe Praktiken wie z.B. ritueller Geschlechtsverkehr und der Gebrauch von Substanzen wie z.B. Soma für den Yoga, d.h. die Einung, mit dem Göttlichen verwendet, die jedoch auf der Ebene des Sutrayana als gefährlich und sogar verderblich abgelehnt werden. Spätestens seit Friedrich Nietzsche wissen wir mit Rückblick auf die alten Griechen, dass es nicht nur den apollinischen Weg zum Göttlichen gibt, sondern auch eine Weisheit des Dionysischen.
Diese Studie möchte explizit nicht zum Konsum und Missbrauch von Drogen anleiten oder anregen, sondern Impulse für einen differenzierteren Diskurs zum Spezialgebiet der Psychedelik geben. Die Psychedelik ist ein spezifischer Aspekt und eigener Forschungszweig einer Integralen Bewusstseinsforschung und einer Cyberkultur des 21. Jahrhunderts, die mehr und mehr mit ständig neuen Technologien und immer weiterentwickelteren neuro- und psychotropen Substanzen – Stichwort: Neuro-Enhancement – konfrontiert wird. Schon deshalb wird man um eine zeitgemäß sachliche, neuropsychopharmakologisch fundierte Differenzierung der verschiedenen Substanzen und ihrer potenziellen Gefahren und Nutzen nicht herum kommen. So plädiert beispielsweise der renommierte Neurophilosoph und -ethiker Thomas Metzinger neben der Forderung nach einer „neuartigen Bewusstseinskultur“, wie z.B. Meditationsunterricht an Schulen, auch für die „Einführung eines (allerdings nicht leicht zu bestehenden) LSD-Führerscheins“.