Tod & Geburt des Heros

Im Ursprung und lange Zeit danach, waren (und blieben) beide Welten (von Innen & Außen, Phantasie & Realität) eine einzige. Die Menschen tanzten und sangen, erfreuten sich am Beischlaf mit den wilden Tieren und den Pflanzen des Waldes und betrachteten (und erfuhren) Diesseits und Jenseits im Grunde als einerlei. Der Tod des Entrücken, des Schamanen-Heros war (und ist) gleichzeitig sein Leben - denn Tod, Leben und Wiedergeburt sind eins im großen zyklischen Wesen der Natur. Was ein Krieger tut, wenn er ins Unbekannte reist, ähnelt sehr dem Sterben (...) sagte der Indianer Don Carlos zu dem Ethnologen Castaneda.

Die Reise des Heros bzw. Druiden-Schamanen aus dem umgrenzten, zivilisierten Bereich heraus sucht in der Initiation Überwindung sozialer, geschlechtlicher und religiöser Überzeugungen. Dieser Schritt bedeutete eine psychospirituelle Konfrontation mit der bislang unerfahrenen, (niederen) Tiernatur (und Sterblichkeit). Darum die Verbindung des Schamanen mit dem Tod.

Nur wer in der Wildnis gehaust hatte, konnte ein wahrer Ritter werden. Erst die Erfahrung der Wildheit – Yvain, Lancelot du Lac, Tristan verlassen die Kultur, um vom rohen Fleisch zu leben und in der Wildnis „vom Wahnsinn befallen zu werden“, eröffnet ihnen die Grundlage dieser Wildheit, was es ihnen ermöglichte, zum Ritter aufzusteigen. So können wir die Reise in den Tod, zugleich als Reise hin zum Gewahrsein der Unsterblichkeit unserer höheren (geistigen) Natur betrachten. Nur wer sein Tierteil gesehen hatte, wer gestorben war, konnte mit Bewusstheit in der Kultur leben. Hans Peter Dürr, ein Schüler Heisenbergs, weist in seinem Buch Traumzeit – über die Grenzen zwischen Wildnis und Zivilisation darauf hin, dass nagual, fylgiaj, chargi etc. „Bezeichnungen für jenen Teil der menschlichen Natur sind, für den wir innerhalb des Zauns keine Bezeichnung kennen“. Er fügt hinzu: „zumindest kleine Aussagen, die derjenige im Wesentlichen verstehen könnte, der nie über diese Grenze (von Kultur und Selbst) hinausgelangt ist.“ Wir müssen also, um eine andere Metapher zu gebrauchen, die Grenze überschreiten, welche die Wildnis (das nagual) von der Zivilisation (der Insel des tonal) trennt.

Das Kapitel Tod des Heroen, weist bereits darauf hin, dass Zaun oder Hecke (die den Bereich der Kultur von dem der Wildnis trennten) in der archaischen Mentalität nicht nur keine unüberwindliche Grenze darstellte. Zu gewissen Zeiten wurde dieser Zaun sogar niedergerissen (bei Troja-Spielen bis ins hohe Mittelalter) Wer mit Bewusstheit innerhalb des Zaunes leben wollte, der musste wenigstens einmal in seinem Leben diese Einfriedung verlassen, die Wildnis in sich selbst gefunden und seine eigene Tiernatur erlebt haben.

So überliefern die alten Mythen und Rituale wie der Jungferntanz oder die Walpurgisnacht ermöglichen die Grenze von (Waberlohe oder Hag) zu überschreiten, um zu erkennen das unsere kulturelle Natur (schicksalshaft an die tierhafte fylgia gebunden) nur die eine Seite unseres Wesen darstellt. In Mythen, Märchen und Sagengeschichten endet die Erfahrung dieses „Gesichte“ des verborgenen „Alter Ego“ oftmals den Tod (wie zum Beispiel nächtlich im Traum, in dem die eigene nagual-Natur sich dem Menschen zeigt), in dem wir unser anderes Ich sehen, wenn wir unser vertrautes ich loslassen und begreifen, dass wir, um über uns hinauszuwachsen, die Identifikation mit uns selbst und unserer gesonderten Einzelwesenhaftigkeit zu zerstören haben.

Die Alltagsperson stirbt sozusagen und löst sich auf, um dem anderen, verborgenen Teil ihrer Selbst Platz zu machen. Das neue Wesen (als Teil der DNA) passt sich an seine (ursprünglich im Evolutionsplan vorhergesehene) Aufgabe an und begibt sich in die Lage zu verstehen, dass die einstige Ich-Idee zwar ein notwendiges, aber letztlich nur das Zerrbild der wahren Person war, welches, wie Sri Aurobindo es lehrte „den Charakter eines Zwischenergebnisses hatte und nicht die endgültige Lösung der großen Rechenaufgabe.“ Nun identifiziert sich das Bewusstsein nicht mehr mit dem materiellen Körper, dem Leben und Denken. Die Vordergrundsperson tritt zurück und überlässt den Raum dem transpersonalen, neutralen Zeugen (der mentalen Seele).

Impressum