„Stramonium - .....lebe wild und gefährlich!“

Homöopathische Studie von Werner Baumaster

Homöopathie statt Doping für Kinder:

Mutterseelenallein und seinem Schicksal überlassen, in einem gefährlichen, dunklen Dschungel, umzingelt von wilden Tieren, die jederzeit angreifen könnten: das Grundlebensgefühl eines Kindes, das jede Annäherung panikartig als feindlich bedrohlich interpretiert, so als wäre es in unmittelbarer Gefahr und müsse sich retten.

Entsprechend heftig und über das Ziel hinausschießend ist seine Reaktion auf Einschränkung von außen. Eine Gewalttätigkeit, die sich am ehesten als entsetztes Um-sich-schlagen beschreiben lässt und dessen Kehrseite aus regelrechtem Festklammern und maßloser Bedürftigkeit besteht.

Ein sogenanntes hyperaktives Kind, dessen nervöse Ruhelosigkeit und instinktive Aggressivität eher einem ausgelieferten, verwirrten Tier in der Falle gleicht, gefolgt von Gewissensbissen und Schuldgefühlen. Ein wilder Blick, wie besessen, scheint auf einen namenlosen Schrecken im Innern gerichtet, der unaussprechlich ist. Nächtliche Panikanfälle, Furcht, ins Bett zu gehen angesichts einer extrem gefährlichen Traumwelt, die das Kind erwartet. Halb lebendig, halb begraben! Ein Teil verhält sich, als sei er bereits tot, verschließt sich zu stark und leblos. Die lebendige Seite dagegen ist immer auf dem Sprung und kämpft ums nackte Überleben.

Schlüsselsymptome für einen Stramonium-Zustand, in den heute immer mehr Kinder geraten. Stramonium, der Stechapfel, aus der Familie der Nachtschattengewächse und Initiationsdroge der Indianer an der Schwelle zum Erwachsenwerden.

Ein häufig angezeigtes homöopathisches Mittel unserer Zeit, das immer in Resonanz mit einer verborgenen Wunde geht. Die Wunde entsteht durch einen intensiven Zustand von Furcht und Schrecken. Mögliche Auslöser: Verlassenwerden, Einsperrung, Bedrohung, sexueller Missbrauch, der Tod einer geliebten Person oder Übertragung durch die Mutter, die ursprünglich Stramonium brauchte. So existiert von Geburt an die Bereitschaft dafür, durch ein Ereignis dauerhaft verwundet zu werden, aus dem andere Kinder relativ unversehrt hervergehen. Plötzlich, unerwartet und potentiell lebensgefährlich, kommt es zu einer Loslösung von der gewohnten Realität. Fortan existiert ein Riss im Kern der Persönlichkeit. Fehlen Schutz und Unterstützung in der Umwelt des Kindes, kann die klaffende Wunde nicht verheilen. Angst, Panik, wütende Gewalt, Kummer oder ständige Wachsamkeit sind die Symptome, die Spuren, die das Trauma nach sich zieht. Sie haben die Funktion eines abschirmenden Schutzwalls, auch wenn sie mit dem auslösenden Ereignis in keinem Zusammenhang mehr zu stehen scheinen. Das Kind mit Neurodermitis kratzt sich so heftig, als sei ein wildes Tier mit den Krallen durchs Gesicht gefahren.

Beseitigt man nun die Symptome ohne wirkliches Verständnis für deren Ursache, kann man dem Kind tatsächlich Schaden zufügen. Denn jedes Kind hat eine Geschichte. Eine Therapie, die diesen Namen auch verdient, setzt einen Heilungsprozess der Wunde in Gang, damit die Lebenskraft wieder zur vollen Entfaltung gelangt.

Eine „Schnellreparatur“ mit persönlichkeitsverändernden Psychopharmaka dagegen ignoriert nicht nur die Ursachen, sondern zerstört subtil die Lebensfreude und das Vertrauen des „störenden“ Kindes in den eigenen Wert, stumpft die Gefühle ab und treibt es noch weiter in die soziale Isolation. Seine Wut kocht jetzt gefährlich unter der Oberfläche.

Das sogenannte aufmerksamkeitsgestörte „ADS- Kind“ ist das Streichholz, der Anzünder im System. Aber wo kein Scheiterhaufen Gesellschaft oder Familie ist, kann auch nichts brennen. Das auffällige Kind als sensibelstes Glied, als Feuermelder im gesellschaftlichen Organismus, der sofort und heftig reagiert, sollte nicht zum Blitzableiter werden.

Die Dualität von Stramonium zeigt, wie der normalerweise weich, verträumte Engel selbst zum Teufel wird, zu dem, was er panisch fürchtet. Nicht das Stramonium-Kind aber ist „diabolisch“, sondern die Allianz, der Deal zwischen profitbringenden Psychopharmaka, die kindliches Alarmverhalten glattbügeln einerseits und unsere Angst vor der Aufdeckung familiärer und gesellschaftlich unbequemer Tatsachen andererseits. Indem die Angst und ihre Auslöser benannt statt zugedeckt werden, verliert das Furchterregende seine Gewalt.

Stramonium symbolisiert die ungezähmte frei Kraft des Wildpferdes und ist ein möglicher homöopathischer Schlüssel an der Schwelle zum Unbewussten, der die Gefängnistür öffnen kann, damit das wilde Kind wieder einen entspannten Zugang zu seiner Lebendigkeit findet.



Quelle: W. Baumaster, Kinder des neuen Jahrtausends - SEIN – Juli 2002

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