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Hat der Kult zum Mai auf der Thingsstätte seinen Zenit überschritten?
- BUND beseitigte Berge von Müll
Von Alexander R. Wenisch und Peter Wiest
Die Wegwerfgesellschaft hat ihrem Namen alle Ehre gemacht, sind die Aktivisten vom Bund für Umwelt- und Naturschztz (BUND) ernüchtert. Wie seit Jahren verwandelte die Massenversammlung zu Walpurgis den Heiligen- in einen Müllberg. Eine Plakataktion des BUND sollte auf die seit Jahren anhaltende Problematik hinweisen. Doch jetzt erkennt die Organisation: Unsere Anti-Müll-Kampagne war nicht so erfolgreich.
Das Problem ist ebenso bekannt wie ausweglos: 14 000 Menschen auf einem Flecken produzieren Müll. Daran scheint kein Weg vorbeizugehen. Ausreden, entsprechende Behälter seien auf der Thingsstätte nicht vorhanden, also könne der mitgebrachte Müll auch nicht entsorgt werden, fußen nicht. Erstens kann jede Flasche, Tüte und Dose im gleichen Rucksack wieder ins Tal genommen werden, in dem sie auch nach oben kamen. Einige, aber mit Sicherheit nicht alle Besucher taten dies auch. Zweitens hatte der BUND in diesem Jahr drei Container und 50 große Mülltonnen aufgestellt.
Dass diese kaum genutzt wurden, hat zwei Gründe. Erstens waren die Tonnen in der Dunkelheit nicht zu sehen. Obgleich Brigitte Heinz, BUND-Geschäftsführerin, anmerkt, die Behälter seien an allen Eingängen und Zugangswegen aufgestellt gewesen. Zweitens liegt es an der Menschenmasse selbst, die eine Eigendynamik entwickelt, in der niemand mehr nach rechts und links schaut, so Heinz. Sie hatte in der Nacht beobachtet: Wo mal Müll liegt, wird noch welcher dazugeworfen. Der BUND ist entsprechen ratlos.
Zehn freiwillige BUND-Mitglieder sammelten denn schon am Maifeiertag das Liegengebliebende wieder ein: Zwölf Kubikmeter Müll laut BUND zu 90 Prozent Dosen und Einwegflaschen. Sechs Stunden benötigten die Freiwilligen, um bis gestern die Hälfte dir Thingsstätte zu säubern. Den Rest werden die Heidelberger Dienst übernehmen. Enttäuscht äußerte sich der BUND, dass die Künstlergruppe der Pyromania-Arts nicht wie angekündigt zum Aufräumen kam. Boris Hiesserer von Pyromania-Arts merkt dazu an, die Mitglieder der Gruppe hätten vor dem Verlassen der Thingsstätte am frühen Morgen Rucksäcke und Mülltonnen gefüllt und Müll mit nach unten genommen.
Waren 14 000 Menschen einfach zu viel für die Thingsstätte? Das waren ja nicht 14 000 auf einmal, sagte der Leiter des Amtes für öffentliche Ordnung, Heiner Bernhard, der in der Nacht zum Mai selbst auf dem Berg war, sondern da gab es ein ständiges Kommen und Gehen, so dass in der Arena selbst nie mehr als maximal 10 000 waren. Bernhard ist der Ansicht, dass die Sache bereits ihren Zenit überschritten hat: der Kult zu Walpurgis auf der Thingsstätte werde sich allmählich von selbst erledigen, da dort oben ja eigentlich gar nichts los ist. Im Übrigen gibt es keinen Grund, das Ganze nicht so zu lassen wie jetzt, denn schließlich passiert ja nichts Schlimmes. Bewährt habe sich, dass man bereits ab dem 29. April verboten habe, auf die Thingsstätte zu fahren: So gab es keine rollenden Alkohol-Depots mehr, und jeder musste mit hoch schleppen, was er konsumieren wollte.
Polizei-Sprecher Harald Kurzer sieht das ähnlich. Das war ein völlig unproblematischer Einsatz für uns; kommentiert er die Nacht zum Mai auch aus der Sicht seiner rund 30 Kollegen, die auf der Thingsstätte vor Ort waren, während sich 20 weitere in Handschuhsheim um den Verkehr kümmerten. Ihn selbst freue es, dass es in der heutigen Zeit noch möglich sei, ein so großes Fest gewaltlos und friedlich zu feiern, so Kurzer. Klar sei, dass bei 14 000 Menschen der Topf voll sei und nicht noch mehr kommen könnten. Dennoch könne man auch der nächsten Nacht zum Mai ruhig und gelassen entgegensehen.
Quelle: Rhein Neckar Zeitung, 3.5.2002
Kommentar:
Ausgefeiert
Das wird jedes Jahr schlimmer. 12 000 im vergangenen Jahr, 14 000 in diesem. Wie viele Menschen kann die Thingsstätte noch schlucken? Die Massenveranstaltung zu Walpurgis 2002 hat ihre Kapazi-tätsgrenze augenscheinlich erreicht. Nach Mitternacht ging in dem Rund nichts mehr vor noch zurück.
Damit st auch die Stimmung dahin. Eine Ansammlung von 14 000 Menschen hat definitiv nichts mehr von Intimität an sich. Naturnähe? Nicht zu Walpurgis. Allein der Aufstieg hat etwas Natürliches, weil Mensch nicht auf Pferdestärke setzen, sondern auf Muskelkraft vertrauen muss. Ansonsten geht es für die Mehrheit da oben nicht mehr um ein Zurück zur Natur. Party steht an: ein Synonym für Alkoholkonsum. Wenn dann die Flüssigkeit wieder aus dem Körper muss, rückbesinnen sich nicht nur die Männer auf den natürlichen Lauf der Dinge.
Dieser Ausdruck körperlichen Drangs ist der einzige, der spontanen Bedürfnissen folgt. Ansonsten lässt die Versammlung jede Spontaneität vermissen. Sie ist eine Pilgerreise, ein Muss der Massen. Nur noch das Feuer auf der Bühne, Fackeljongleure und Feuerspucker erinnern an die Ursprünge des Festes. Gegen eine Atmosphäre wie im Fußballstadion (ohne Spiel) kommen diese archaischen Momente nicht an.
Nichts könnte die Stimmung heben. Keine Verbesserung der Infrastruktur, kein Rahmenprogramm. Alles würde die Massen womöglich nur noch mehr anziehen. Der Heiligenberg könnte sie nicht fassen. Der Höhepunkt der Walpurgis-Feier ist überschritten.
Alexander R. Wenisch, Rhein Neckar Zeitung, Donnerstag 2.Mai 2002