Erweckungs-Mythen und -Märchen

Im Gefolge der altgermanischen Fruchtbarkeitsgöttin Freyja ist Brunhild eine von zwölf (bzw. in einer anderen Sage von neun) Walküren. Freyas Tempel wurden von Priesterinnen geleitet und waren von Rosen umhegt, denn die Rose war ihr heilig. Da Feuer und Rosen im Bereich der Symbolkunde ohnehin als konvertierbar gelten, stellt der Waberlohe genannte Feuerwall vermutlich eine isländische Neuerung dar, die in der Vorstufe Dornenhage bzw. Rosenbüsche waren

In vielen unserer heimischen Märchen, Sagen und Mythen ist der Heros und jugendliche Lichtheld ein Teilmotiv. Dies kommt nicht nur darin zum Ausdruck, dass sein mutiges Herz und sein starker Arm die Hindernisse wie von selbst brechen, dass sich dank seiner Vollmacht alle seither verschlossenen Pforten willig öffnen. Er erscheint gerade zur rechten Zeit und ist überdies noch ein vom Schicksal - wenn auch meist erst nach äußerster Bewährung - der vom Schicksal Erwählte, an den rechten Ort Geleitete. Er ist der rechte Freier, der schicksalhaft für die Jungfrau Bestimmte, erwählt Befreier der Jungfrau zu sein.

Dieser Wiedergeburts-Motivgruppe ist im Dornröschenmärchen wiederzufinden, neben anderen bekannten Märchen wie z.B. dem von Schneewittchen. Die winterliche Stockung des Lebens als Schlafbann und das frühjährliche sich Regen aller Kräfte als Erwachen, als Erwecktwerdung aufzufassen, liegt auch heute noch so nahe, dass z. B. die Metapher vom Erwachen aller Lebenskräfte im Frühjahr in aller Munde ist. Wir gebrauchen sie allgemein, ohne uns dessen bewusst zu sein, dass wir auf ein mythologisches Motiv damit zurückgreifen. Solchen Reichtum birgt der Mythos, die mythische Sage, das Märchen; und also auch die ewig junge uralte Geschichte vom Dornröschen und dem Prinzen. Und auch im Seelischen gibt es ähnliche Wachstumsgesetze.

Dornröschen und verwandte Märchentypen zeigen auffällige Parallelen sowohl zu Brunhild als auch zu Kriemhild. In unserem Märchen übernimmt der Dornenhag die Funktion mütterlich-umhegender Umhüllung, ein im Mittelalter auch in der Gartenarchitektur besonders beliebtes Motiv, dessen mythischer Ursprung außer allem Zweifel ist. Bei Dornröschens Geburt werden 12 von 13 schicksalskundige Feen des Königreiches eingeladen (denn der König besaß nur 12 goldene Teller); die uneingeladene 13. Fee erscheint dennoch und verflucht Dornröschen. In ihrem 15. Lebensjahr geht der Fluch in Erfüllung.

Dornröschen sticht sich an einer Spindel, woraufhin sie und das ganze Schloss in einen langen Schlaf verfallen. Nur die Dornenhecke wächst und schließt das Schloss als Hag hermetisch ab. Nach hundert Jahren kommt ein Prinz, als er herannaht weichen die Dornen zur Seite und er kann mühelos eintreten (für jeden anderen war dies bis dahin ein tödliches Unterfangen). Der Prinz erlöst das schlafende Dornröschen mit einem Kuss, anschließend feiern sie Hochzeit. In der nordischen Edda ist diese „Hochzeit von Sigurd und Brunhild“ ebenso das Kernthema, wie die „Heilige Hochzeit“ den Kern der Walpurgisnacht-Feier bildet.

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