Die heilige Hochzeit - Vereinigung der polaren Gegensätze

In einer alten mesopotamischen Abbildung windet sich eine Schlange um diesen Baum, an dessen Zweigen bzw. blattartigen Palmetten, die das urzeitliche Symbol des in sieben Kammern geteilten Schoßes der Göttin widerspiegeln, zwei „Früchte“ hängen, die für das Wissen stehen und als Fruchtbarkeitssymbole gedeutet wurden. Rechts vom Baum mit dem Symbol Eas, dem Halbmond, links das Symbol Anus, des Planeten. Im Ritual war es dem „König“ als „Wächter“ gestattet, sich dem Schatten der „Göttin“ zu nähern und mit geweihtem Wasser (als Samen der Götter) und einem symbolischen Phallus eine Befruchtungszeremonie durchzuführen.

Der Baum versinnbildlichte den „Raum zwischen den Welten“ und somit die Gegenwart der Göttin des Lebens, der Himmelskönigin. Die Heilige Hochzeit und der öffentliche Liebesakt zwischen dem „König“ und der irdischen Vertreterin der „Göttin“, der Lukur-Priesterin, war bereits im alten Babylon der Höhepunkt des Akitu-Festes, des großen Frühlingsrituals. Zum Ritus gehörte die Darstellung des Schöpfungsepos, sowie Tod und Wiederauferstehung des Königs. Dieser Baumkult, der bei den Assyrern seinen Höhepunkt erreichte und den Babyloniern überliefert wurde, stand im Zentrum des Rituals und setzte sich bis in die christliche Zeit hin fort.

Eine Specksteinplatte aus dem Thronsaal des babylonischen Kalakh, zeigt diese Heilige Hochzeit als Symbol für die Vereinigung der polaren Gegensätze und die völlige Schließung des sich in der Zeit erfüllenden Schicksalsringes, des Kreislaufgeschehens. Die Pflanze, als Verkörperung des heiligen Reiches der Weiblichkeit (Gaia, die Göttin), bildet darauf ein Zentrum, auf dass sich alles konzentriert. Selbst der König und seine Priester werden darin gespiegelt und so Einzuweihende im „Kampf“ der Kräfte, bei dem die sieghaft triumphierenden jungen Kräfte des Frühjahrs des Jahrlaufkreises und des Sommers schließlich obsiegen.

Es ist die Zeit der fruchtschweren Flur und der heilkräftigen Hände, der Stärke und des stolzen Ruhmes. Es ist eine Zeit der Freudenrunen, der Glücksstäbe und des Heils, das aus der Ganzheit geboren wird - aus der ewig sich erneuernden Vereinigung von Himmel und Erde, Tag und Nacht, Sommer und Winter, von Mannes- und Weibeskraft in der Welt und im jenseitigen Walhalla. Im Heilruf der erwachenden Walküre ist diese Polarität kosmischen Geschehens gepriesen und religiös ausgesprochen: „Heil dir, Tag! - Heil euch, Tagsöhne! - Heil Nacht und Nachtkind! Heil euch, Asen! - Heil euch, Asinnen!“

In der nordischen Edda schneidet unser Held, Kraft seiner ihm vom Schicksal erteilten Vollmacht(megin, virtus), der schlafenden Göttin Brunhild mit seinem Schwert den Brustpanzer auf und erweckt sie damit (spirituell) zu neuem Leben. Sie versprechen sich einander, tauschen Ring und Kelch. Diese Version der Erweckungssage wurde schon oft mit dem rheinischen Dornröschen-Märchen der Gebrüder Grimm Fassung verglichen. Und noch heute verwenden Dichter die selbe Bildsprache, wie das (durch die Walpurgisnacht bekannte, uralte Jahrlaufbrauchtum, in dem der Winter ausgetrieben oder verbrannt wird:

„Es lockt und wirbt der Sonne warmer Kuss. Da gärt die Scholle von verborgnem Segen. Das Leben zieht herbei auf tausend Wegen, Weil des dem fernen Ruf gehorchen muss. Der Erde Kinder, bunt und ohne Zahl, Sie lassen sich im Dämmerschloss nicht halten. Es nahen tausend Formen und Gestalten und treten dankbar in des Lichtes Strahl.“

Dichterin, Auguste Supper

Impressum