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Intelligentes Clubbing im technologischen Uterus
Das Mannheimer 'Milk!', 1992 vom Groove-Magazine zum Club des Jahres gewählt, zählt zu den Geburtsstätten des Breakbeats, Jungle- und Drum'n'Bass in Deutschland. Der vom DJ Dirk Mantei aka ‘D Man‘ geführte und vom Visual Artist Boris Hiesserer unterstützte Techno-Club präsentierte sich und seine Posse auf der Berliner ‘Loveparade‘ und gilt als Inkubator der elektronischen Tanzkultur in Deutschland.
In der Anfangszeit war Dirks Freund, Musiker und DJ Gregor Dietz, ein steter Supporter und der noch nicht weithin bekannte, Mannheim-stämmige, Popsänger ‘Xavier Naidoo‘ arbeitete als Türsteher des Milk. Unter dem einstigen Planken-Kino befindlich war der Club im 80er Jahre Stil designed und bestand aus einer Melange aus Marmor, Chrom und Glas. Sobald Club und Mainfloor sich richtig gefüllt hatten und die tanzwütige Meute schwitzend abging, begann das kondensierte Wasser von den verspiegelten Wänden und Decken zu tropfen.
Jede Woche kamen Techno-Begeisterte - zum Teil von weit her - um neue Klänge, Töne und Frequenzen zu verinnerlichen, die das Ohr nie zuvor vernommen hatte und gemeinsam tanzend der Wirkkraft, der neuen progressiven Musik zu fröhnen. Die von Dirk Mantei neu erworbene Sound-Anlage, extra für die Bass-lastige elektronische Tanzmusik zusammengestellt, bot Gästen wie Djs die Option, die Präsentation und Erfahrung technoider Klangräume bis zum Maximum auszureizen.
Nebst ‘G.O.D.‘ aka Gregor Dietz und ‘D Man‘, die hier auflegten, zählten zu den Resident DJs ‘Groover‘ aka Holger Klein, Sebastian Dresel aka DJ 'Seebase', die DJs Jonathan und Tobi, ‘Bassface Sasha‘ aka Sascha Dürk und ‘Soundball‘ aka Oliver Rack, der das Milk bis zu seiner Schließung gestaltete. Die Resident DJs des Milk bespielten mit ihren 'Breakbeat'- und ‘Club-Invasion‘-Tours den Frankfurter XS-Club und zahlreiche Techno-Locations landesweit.
Auflegen sollte damals auch ein gerade erst Techno/House entdeckender David Moufang, der sich wenig später ‘Move D‘ nannte. Er sagt, rückblickend über diese Zeit: „Das Milk war sowohl Geburtshelfer von Move D als auch von Source Records. Hatte das Milk vorher in der Regel kein Programm außer den einzelnen Wochentagen mit ihren jeweiligen DJs, so machten wir nun die bahnbrechende Entdeckung, dass man mit Hilfe von Flyern eine Nacht als besonderes Ereignis kommunizieren konnte.
Licht- sowie Dia-Installationen, allerlei Deko und nicht zuletzt der Chili-Out-Raum waren die zusätzlichen Attraktionen des Milk. Mit dem ‘Mondo 2000‘ bzw. ‘Holistic Heaven‘ schuf Boris ‘Eden‘ Hiesserer aus dem nicht mehr bewirtschafteten Restaurant eine Stätte des Cyber-Schamanismus. Es schien, als ob Timothy Leary, Terence McKenna und der ‘Temple Ov Psychick Youth‘ die Schirmherrschaft übernommen hätten."
Überraschungen und sich häufende Synchronizitäten waren vorprogrammiert. In der Nacht auf den 12. Januar 1992 verdeutlichte zum Beispiel die Filmvorführung von Stanley Kubricks 1968er Klassiker ‘2001 - Odyssee im Weltraum‘, dass der Supercomputer ‘HAL 9000‘ (im zukünftigen Filmszenario am 12.01.1992) zeitgleich programmiert worden war. Der Hinweis auf diesen besondere Tatbestand veranlasste eine Gruppe von ca, 30 Milk-Stammgästen sich spontan auf die Heidelberger Thingstätte zu begeben, um, auf der Kuppe des Heiligenbergs, die kosmische Energie der Planetaren Aktivierung dieser Nacht mit einem kleinen Übergangsritual zu verankern.
Wieder zurück im Milk blitze das Strobe und der Dancefloor - das innere Heiligtum des Clubs - war so vom Nebel verhüllt, dass im Blitzlicht-Takt nur sporadisch Smiley T-Shirts, zuckende nackte Oberkörper und weit geöffnete Augen sichtbar wurden. Der Groove war der gemeinsame Nenner, Individuen - nass, warm, weich - verscholzen mit der tanzenden Masse, die Ekstase wuchs mit jedem Break und kam in Jubelschreien zum Ausdruck ... die Gegenwart wurde zelebriert , der Nachtflug war in vollem Gange und der Club zu einem technologischen Uterus geworden.
Das ‘Mondo 2000‘ fungierte zeitgleich als interner Ruhe- und Gegenpol zum ekstatischen Tanz, durchdrungen von unablässigen Loops Beats und Bässen. Das Chill-Out Areal war darauf ausgerichtet kontemplatives Reisen und Kuscheln zu ermöglichen, mit leiseren, sphärisch-experimentellen Tunes und Klängen die zum Relaxen, Tagträumen, Unterhalten, Abtrippen bzw. Abklingen einluden. Mit den hirnaktiven binauralen Beals und Space-Drinks an Pyromanias Brain-Bar, waren der zerebralen Festplatte unterschiedliche Stimulations-Varianten geboten ... ‘Holistic Heaven‘ eben.
Quelle: Pyromania Arts Redaktion, sequenziell aus Presse und Web
Links: www.future-music.net/stage/features/2004-01_clublegenden-milk/,
www.future-music.net/stage/features/1993-01_milk-club-des-jahres/
Fotos: Erik Schmitt, Milk! Crew, publiziert in Groove- und Meier Stadt-Magazin