Die Heilige Hochzeit - Entzauberung durch Minnedienst und Beischlaf

Im Dornröschenmärchen wie in zahlreichen anderen Erlösungsmärchen ist die entzaubernde Tat ein Kuss. Diese romantische Abschwächung eines ursprünglich sicherlich weit blutvolleren Motivs - in einigen Fassungen des Dornröschenmärchens vollzogen - lässt übrigens, neben dem Rosenhagmotiv, Rückschlüsse auf das Alter der Dornröschenfassung zu: es dürfte, wie der Rosen-Hag, auf die Zeit des höfischen Minnedienstes im Sinne der französischen Ritterromane, der Ritter der Rose, zurückgehen. Eine Zeit, in der sich der männliche Tatendrang von der schwertgewaltigen Tüchtigkeit in die Richtung auf Tugend und reine Minne, auf den werbenden Frauendienst, die courtoisie entwickelte.

In dem altfranzösischen Prosaroman Perceforest, der ein genaues Vorbild des Dornröschenmärchens enthält, dringt ihr Liebhaber Troylus auf dem Rücken eines Vogels in die verschlossene Burg. Hier verweist der Name des Heros auf die, für den „Jungfrauentanz“ errichteten, „Troja-Burgen“ genannten Irrgärten in Labyrinthform. Viele Erlösermärchen wissen es noch anders: da wird die Jungfrau aus der sie umgebenden Haut oder Rinde aus ihrer tierhaften Verhüllung mit Schwert- oder Rutenschlägen herausgeschlagen! Ein deutlicher Hinweis auf die Befruchtungssymbolik des Naturmythos, ist die Lebensrute, die ja heute noch im österlichen Brauchtum mancherorts eine große Rolle spielt. Im nordischen Sigurda-Mythos schneidet Sigurd die „Brünne“ der schlafenden Jungfrau durch Schwertschlag auf, wie der männliche Pflug den Schoß der weiblichen Erde befruchtend aufreißt...und/oder wie die wärmende, zeugende Lichtkraft der Sonne den Eispanzer der winterlich ruhenden Erde zerbricht.

Ob wir nun im Schwertschlag Sigurds mehr ein frühjahrliches Befruchtungs- oder mehr ein Befreiungssymbol sehen. Offensichtlich ist, dass im Bild der im Frühling erwachenden, unter dem erweckenden Kuss der Sonne und ihren lebenserzeugenden Strahlen wiedergeborenen Natur, eine deutliche Parallele zu dieser Symbolik im Mythos vorliegt. Was das Erlösungsmärchen und damit auch die abschließende Heilige Hochzeit betrifft, in der sich der Held mit der Befreiten nach dem Willen des Schicksals vermählt, so stellt dieses Symbol die Vereinigung der polaren Gegensätze dar.
Die Heilige Hochzeit steht für die Vermählung, die heilige Verbindung bzw. Fusion der Gegensätze zum Beltane Ritual am ersten Mai. Sie vollzieht die völlige Schließung des sich in der Zeit erfüllenden Schicksalsringes, des Kreislaufgeschehens dar, unter kosmischer Blickrichtung des Jahrlaufkreises in der sommerlichen Hoch-Zeit zu vollendeter Ganzheit.

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